20 Mai Junioren-Weltmeisterschaft in Usbekistan

Berlins stärkste Frau: Gewichtheberin Antonia Ackermann fliegt zur Junioren-WM

Während der Pandemie trainierte sie in einer Gartenlaube. Jetzt hat die 19-Jährige vom SV Empor Berlin am Tag ihrer Abi-Prüfung eine Bestleistung hingelegt.

Berlin – Antonia Ackermann zieht die ledernen Zugbänder an ihren Handgelenken fest. Ausgangsstellung, Hocke. Sie packt die Hantelstange mit den schweren Eisenscheiben. Am Pfeiler der Trainingshalle hängt eine goldglänzende Glocke, die sie bei den Gewichthebern im Bundesleistungszentrum an der Paul-Heyse-Straße „Glocke des Triumphs“ nennen. Immer dann, wenn jemand im Raum eine Bestleitung hebt, so viele Kilos wie nie zuvor, darf er läuten. Alle anderen applaudieren. Besondere Taten sollen auffallen.

Antonia Ackermann hatte kürzlich so einen besonderen Tag. Es war das Datum des schriftlichen Englisch-Abiturs. Fünfeinhalb Stunden saß sie am Morgen im Schul- und Leistungssportzentrum (SLZB) in Hohenschönhausen über der Klausur. Als die Prüfung gegen 14.30 Uhr beendet war, fuhr sie zur Gewichtheberhalle. Sie aß die Nudeln, die ihre Mutter gekocht hatte. „Nudeln sind mein Wettkampfessen“, sagt Ackermann. Dann malte sie Mandalas, zur Beruhigung.

Um 16.30 Uhr begann ihr wichtiger Wettbewerb. Zuschauer und Bundestrainer waren per Video zugeschaltet, Scheibenstecker, Kampfrichter sowie die Trainer Michael Müller und Tony Höwler schauten vor Ort zu, wie die 19-Jährige vom SV Empor Berlin zur Wettkampfhantel griff. Sie wollte eine Antwort heben auf die Frage, die der Bundestrainer drei Wochen zuvor ihrem Trainer gestellt hatte: „Schafft Antonia die 191-Kilo-Norm für die Junioren-Weltmeisterschaft?“

Trainer Müller hatte erwidert: „Sie ist gut drauf. Sie muss es nur auf die Bühne bringen, auch vom Kopf her.“ Ackermann hatte ihre Kniestrümpfe mit den Einhorn-Aufbügler angezogen, ein Glücksbringer, nicht so auffällig wie das Einhorn-Kuscheltier, das sie früher, als sie jünger war, bei Wettkämpfen dabeihatte. Nach 80 Kilogramm im ersten Reißversuch steigerte sich Ackermann auf 82 Kilo. 84 Kilo im dritten Versuch bedeuteten Bestleistung. Triumphglocke.

Im Stoßen schaffte die 1,65 Meter große Berlinerin im dritten Versuch genau die 107 Kilo zur Norm. „Das war schon eine Überraschung“, sagt Ackermann und zieht ihr Zopfgummi fest. Sechs Kilo Steigerung, ein neues Niveau, die Nominierung zur Junioren-WM. „Um den Wert dieser Leistung einzuschätzen, reicht es aus zu wissen, dass sich seit nun mehr zehn Jahren keine deutsche Athletin für eine Junioren-WM qualifizieren konnte“, sagt Lehrertrainer Höwler.

Er kennt Antonia, seit sie in Klasse sieben aufs SLZB wechselte. Sie war zuerst Turmspringerin, als sie, damals noch in der Heinrich-Roller-Grundschule, gesichtet wurde. „Ich war zehn und habe eine neue Sportart gesucht. Bei der Sichtung gab es Medizinballschocken, Dreisprung, dann sollte ich an die Hantel. Das hat mir gleich großen Spaß gemacht“, erzählt sie.

Vorurteile? Hatte sie keine. „Es gibt ja immer mehr Frauen im Gewichtheben. Die Jungs reagieren meistens irgendwie begeistert. Manche behaupten, man bleibt als Gewichtheber klein, aber ich weiß ja, dass das nicht stimmt“, sagt Ackermann. Einfach rein in die Dopingsportart? Immer neue Dopingvergehen haben die olympische Zukunft des Gewichthebens in Frage gestellt. Ackermann nickt: „Das ist was, was einen beschäftigt. Unsere Normen werden ja an die Weltspitze-Leistungen angepasst. Aber wenn die gedopt produziert sind, ist es sehr schwierig da ranzukommen.“

Dass es Ackermann, die 2019 bei der Jugend-EM in Israel in der Klasse bis 59 Kilo erste internationale Erfahrung sammelte, es jetzt zur Junioren-WM geschafft hat, findet Lehrertrainer Höwler umso bemerkenswerter. Ihr tat der Wechsel in die Klasse bis 64 Kilo gut. „Ich muss vor Wettkämpfen nicht mehr abnehmen“, sagt Ackermann. Und dann war da noch Höwlers „Underground-Training“, wie er es nennt.

Zu Beginn der Pandemie, als die Hallen für alle geschlossen waren, öffnete er seine Gartenlaube in Baumschulenweg. Er legte eine dicke Holzbohle auf den Boden, Gummimatten rechts und links als Widerlager. Die Sportler kamen zum Einzeltraining – mit dem Rad. Antonia war die Erste. „Es war am Anfang total komisch, im Garten zu trainieren. Gerade beim Stoßen war es ganz schön eng da“, sagt Ackermann. Nur etwa zwei Zentimeter blieben ihr bei nach oben gestreckter Langhantel bis zur Decke.

Wenn es nachts nur drei Grad warm war, schmiss Höwler am Morgen den Ölradiator an. „Die Vögelchen haben gezwitschert.“ Laubennachbarin Rosi war neugierig. „Rosi guck mal“, sagte Höwler. Rosi kam rüber. „Sie war dann ganz erstaunt, dass so ne junge Frau wie Antonia so viel Gewicht stemmen kann“, erzählt der Lehrertrainer.

Eine Toilette gab es in seiner Laube nicht. Aber die Sportler wollten an die Hanteln, Kniebeugen und Züge trainieren, manche nahmen bis zu einer Stunde Anfahrt mit dem Rad in Kauf. „Das war ein erhebendes Gefühl als Trainer. Es hat mir gezeigt: Die wollen den Leistungssport wirklich“, sagt Höwler. „Dass Antonia völlig konträr zur Krise aus sportlicher Sicht einen Riesensprung gemacht hat, liegt an ihrem Willen.“

Höwler hat Antonia von Klasse sieben bis zwölf nicht nur trainiert, sondern sie auf der Leistungssportschiene durch die Pubertät manövriert, sie motiviert, ihr gesagt: „Wenn der Hase die Möhre haben will, muss er aus der Hütte raus.“ Bevor er sie im Januar an Stützpunkttrainer Müller übergab, schrieb er ihr zu Silvester, was ihn beeindruckt: Dass sie eine ist, die einmal mehr aufsteht, als sie hinfällt. „Antonia ist eine Kämpferin“, findet Höwler. Von September an hat sie einen Platz in der Sportfördergruppe der Bundeswehr.

Auch Müller kennt Antonia Ackermann und die anderen Talente am Bundesstützpunkt seit Jahren. Er war selber Gewichtheber in Berlin. „Herr Höwler hat viele Aktien dran, dass Antonia da ist, wo sie ist“, sagt Müller. „Ihre Leistung war wirklich bemerkenswert in dem ganzen Abiturstress.“ Manchmal saß sie im dritten Stock des Fünfgeschossers allein beim Digitalunterricht oder lernte, ehe sie zum Training nach unten kam.

Eine Toilette gab es in seiner Laube nicht. Aber die Sportler wollten an die Hanteln, Kniebeugen und Züge trainieren, manche nahmen bis zu einer Stunde Anfahrt mit dem Rad in Kauf. „Das war ein erhebendes Gefühl als Trainer. Es hat mir gezeigt: Die wollen den Leistungssport wirklich“, sagt Höwler. „Dass Antonia völlig konträr zur Krise aus sportlicher Sicht einen Riesensprung gemacht hat, liegt an ihrem Willen.“

Höwler hat Antonia von Klasse sieben bis zwölf nicht nur trainiert, sondern sie auf der Leistungssportschiene durch die Pubertät manövriert, sie motiviert, ihr gesagt: „Wenn der Hase die Möhre haben will, muss er aus der Hütte raus.“ Bevor er sie im Januar an Stützpunkttrainer Müller übergab, schrieb er ihr zu Silvester, was ihn beeindruckt: Dass sie eine ist, die einmal mehr aufsteht, als sie hinfällt. „Antonia ist eine Kämpferin“, findet Höwler. Von September an hat sie einen Platz in der Sportfördergruppe der Bundeswehr.

Auch Müller kennt Antonia Ackermann und die anderen Talente am Bundesstützpunkt seit Jahren. Er war selber Gewichtheber in Berlin. „Herr Höwler hat viele Aktien dran, dass Antonia da ist, wo sie ist“, sagt Müller. „Ihre Leistung war wirklich bemerkenswert in dem ganzen Abiturstress.“ Manchmal saß sie im dritten Stock des Fünfgeschossers allein beim Digitalunterricht oder lernte, ehe sie zum Training nach unten kam.

Am Berliner Stützpunkt arbeiten die Trainer Hand in Hand. „Wir wollen Leute zu Olympia bringen“, bekräftigt Höwler. Ackermann sagt, sie peile die Spiele 2028 an. In der Schnellkraftsportart Gewichtheben dauert die Aufbauphase viele Jahre. Sie ist grade mal in der Mitte ihrer Karriere. „Wir haben neun Kadersportler hier, wirklich talentierte Kinder“, ergänzt Müller. Am 20. Mai fliegt er mit Ackermann nach Taschkent zur Junioren-WM. In Usbekistan, sagt Ackermann, wolle sie ihre Bestleistung bestätigen und internationale Erfahrung sammeln.

Hinter ihr in der Halle stehen riesige Zimmerpflanzen an der Fensterfront. Antonia Ackermann kann beim Heben das Plakat an der hinteren Wand gut sehen. Dort steht in riesigen Buchstaben, die Tony Höwler aufgeklebt hat: „Es wird nicht leichter, du wirst besser.“

Original: Berliner Zeitung –  Karin Bühler18.5.2021 – 20:45 Uhr